Eine Analyse von Stefanie Stadon
150.000 junge Leute aus Europa, Asien und weiteren Ländern strömen jährlich mit einem Working Holiday Visum (Subclass 417) nach Australien. Eine Vielzahl unten ihnen sucht Arbeit im landwirtschaftlichen Sektor. Gerade bei Erntearbeiten sind die fleißigen Hände der Backpacker gefragt.
Sie reisen auf den 5. Kontinent mit der Aussicht auf schnelles Geld für die Reisekasse und ein wenig Abenteuer. Doch die einst sichere Jobmöglichkeit weicht dem Anschein nach einer zunehmend rücksichtslosen Ausbeutung, gegen die sich zu wehren nur wenige wissen. Schuld daran sind skrupellose Jobvermittler.
Die Ausgangssituation
Ein Job auf der Farm oder in einer Lebensmittelfabrik ist schnell gefunden. Australienweit wird zu jeder Jahreszeit irgendwo Gemüse oder Obst geerntet und abgepackt. Ein offizielles Bewerbungsschreiben ist in der Regel nicht nötig, es reicht die persönliche Vorsprache oder der Anruf. Die Verdienste sind bei guter Leistung hoch, die Anforderungen gering. Es gibt keine besonderen Qualifikationserfordernisse, mäßige Englischkenntnisse reichen aus. Lediglich Fitness und Ausdauer sind unabdingbar, da gerade die Erntearbeit auf dem Feld körperlich sehr anstrengend sein kann.
Farmarbeit gilt unter Backpackern nicht nur als leicht erreichbare Arbeit, sondern ist darüber hinaus Voraussetzung, um ein zweites Working Holiday Visum zu erhalten. Wer nachweist, drei Monate in ländlichen Regionen in bestimmten Berufen gearbeitet zu haben, kann seinen Australien-Aufenthalt um ein Jahr verlängern.
Von der anderen Perspektive betrachtet, ist es für Farmer oder Fabrikbetreiber ein Leichtes, aus der Menge geldhungriger Backpacker Saisonarbeiter zu rekrutieren. Meist ist die Nachfrage nach solchen Jobs größer als das Stellenangebot. Vorgesetzte haben bei der Auswahl ihrer Arbeiter freie Auswahl. Sollte jemand vorzeitig kündigen, ist der Platz schnell wieder besetzt.
Hintergründe der Ausbeutung
Um Kosten und Zeit einzusparen, treten Betreiber die Personalsuche und – verwaltung vermehrt an Arbeitsvermittlungen ab. Diese übernehmen sowohl die Einstellung der Arbeiter als auch die Lohn- und Steuerzahlungen sowie die Bereitstellung einer Unterkunft. Bei den zwischen geschalteten Unternehmen handelt es sich um Working Hostel oder meist private Jobagenturen.
In der Theorie zahlen die Farmer & Co den Vermittlern Gehälter in angemessener Höhe, um diese an die Backpacker weiter zu leiten. Die Realität ist jedoch eine völlig andere. Gezahlte Löhne liegen entweder unter dem gesetzlichen Mindestlohn oder werden gar nicht erst bzw. Wochen später gezahlt. Offizielle Nachweise wie Lohnzettel gibt es nicht, das Gehalt kommt bar auf die Hand.
Die Ausbeutung betrifft nicht nur den Lohn der Backpacker. Manchmal müssen sie stundenlang am Fließband oder auf dem Feld stehen, Pausen sind kurz oder werden nicht gestattet. Nach Feierabend wartet eine menschenunwürdige und überfüllte Unterkunft auf die Arbeiter aus Übersee. Wer sich beschwert oder zu viel hinterfragt, hat mit Schikanen zu rechnen. Dabei handelt es sich meist um verbale Diskriminierungen. Meist wissen die Farmer selbst nichts von den Machenschaften der von ihnen beauftragten Agenturen.
Fair Work Ombudsman, eine unabhängige australische Arbeitsschutz-Organisation, fasst die häufigsten gemeldeten Beschwerden wie folgt zusammen:
- Zumeist betrifft es den Lohn, der entweder nicht gezahlt oder zu gering ist. Meist wird ein Gehalt vereinbart, das auf einer geernteten Stückzahl beruht. Auf Basis dessen ist es unmöglich, innerhalb regulärer Arbeitszeit und Leistung umgerechnet auf den derzeitigen Mindestlohn von AU$ 21,08 /Stunde zu gelangen.
- Vielen Backpacker werden Unterkunft, Arbeit und Transport seitens der Vermittlung versprochen. Dafür ist jedoch ein Vorschuss zu zahlen bzw. eine Kaution zu hinterlegen. Der Weg zur Unterkunft führt praktischerweise direkt an einem Geldautomaten vorbei.
- Wer droht, sich zu beschweren oder zu kündigen, bekommt die Kaution nicht zurück. Oft werden auch nötige Unterschriften und Nachweise für das 2. Working Holiday Visum verweigert.
- Überfüllte Unterkünfte ohne hygienische Standards und Sicherheitsvorkehrungen wie z.B. Brandschutz sind ebenfalls erwähnt.
Die Meldungen über Ausbeutungen häufen sich. Rechtlich kann gegen die Vermittlungsagenturen jedoch nicht vorgegangen werden. Sie benötigen für den Geschäftsbetrieb weder eine Lizenz noch unterliegen sie bestimmten Regularien. Ihre Bücher werden nicht geprüft, ergo existieren keine Unterlagen und damit auch keine Nachweise über Lohnzahlungen geschweige denn Angestellte. Letztere haben damit keine verankerten Rechte. Die australische Gesetzgebung weißt in dieser Angelegenheit schwere Lücken auf.
Warum nicht dagegen wehren?
Es stellt sich unweigerlich die Frage, warum die Betroffenen der Ausbeutung nicht entgegentreten. Schließlich sind sie freiwillig nach Australien gereist, keiner zwingt sie zum Aufenthalt. In der Arbeitssuche sind sie völlig flexibel und ungebunden.
Das Problem liegt zumeist in den Englischkenntnissen, dem fehlenden Wissen, Unerfahrenheit und auch der Nationalität. In Erfahrungsberichten liest man häufig von Betroffenen, die aus dem asiatischen Raum kommen, z.B. Taiwan und Korea. Backpacker dieser Länder haben im Vergleich zu Europäern ein recht schlechtes Englisch, weshalb sie sich nur schlecht verständigen und vor allem äußern können. Nicht nur das fremde Land schüchtert ein, sondern auch die Sprachbarriere. Hinzu kommt, dass Asiaten eine weniger aufsässige Arbeitsmentalität haben als junge Backpacker aus Europa, die meist selbstsicherer und fordernder bezüglich ihrer gemeinten Rechte auftreten. Jobvermittler richten ihre Augen in der Konsequenz stärker auf asiatische Backpacker, da diese weniger Ärger versprechen und mehr Leistung bringen.
Hinzu kommt das Alter. 18jährige Backpacker ohne Berufserfahrung freuen sich über jede Arbeit, die sie in Australien finden. Ausbeutung als solche wird nicht erkannt und/oder als notwendiges Übel hingenommen. Aus purer Naivität werden aussichtsreiche Stellenanzeigen und Jobversprechen als bare Münze genommen. Im selbst erkorenen Traumland auf Zeit ist kein Platz für Skepsis.
Und da leider nicht jeder Backpacker mit den empfohlenen AU$ 5.000,- Ersparnissen nach Australien reist, um eventuelle Engpässe auszugleichen, ist der finanzielle Notstand bei so Manchen groß. Die Verzweiflung treibt sie in jeden Job und lässt sie alles in Kauf nehmen. Gerade Asiaten arbeiten erfahrungsgemäß nicht nur für das eigene Vergnügen in Australien, sondern um das verdiente Geld zu ihren Familien in die Heimat zu schicken.
Bereits 2013 startete Fair Work Ombudsman eine dreijährige Kampagne, um nicht nur die Working Holiday Reisenden auf ihre Rechte sondern auch die Arbeitgeber auf ihre Pflichten aufmerksam zu machen.
Ein Fass, das überläuft
Dass die Kampagne kurz vor Ablauf nicht viel bewirkt hat, zeigt eine Anfang Mai 2015 im australischen Fernsehen ausgestrahlte Reportage der TV-Reihe „Four Corners“. Journalisten deckten in einer landesweiten Untersuchung teils bedenklich Arbeits- und Lebensbedingungen der ausländischen Backpacker auf. Die Situation scheint sich zu verschärfen. „Four Corners“ spricht nicht mehr nur von Ausbeutung, sondern von sklavenähnlichen Zuständen sowie Schwarzarbeit – Syndikate.
Die Rede ist von tausenden Betroffenen im ganzen Land. Laut Bericht beläuft sich die Summe unterschlagener Löhne jährlich auf mehrere Millionen Dollar. So wird von einer 20jährigen Backpackerin in Victoria berichtet, die bei der Traubenernte für knapp 65 Stunden Arbeit nur AU$ 250,- am Ende der Woche erhielt, umgerechnet weniger als $3,85 /Stunde. Andere Arbeiter in einer Geflügelfabrik in South Australia berichten von 18stündigen Schichten, zwischen denen nur eine einstündige Pause lag. Weder hatten sie zwischendurch Zeit zu trinken noch um auf die Toilette zu gehen. In einem Tomatentreibhaus in Gippsland wiederum wurde eine junge Asiatin von ihrem Jobaufseher sexuell belästigt. Als sie den Vorfall meldete, kündigte ihr der Vermittler.
FairWork Ombudsman berichtet ebenso von erneuten Vorfällen. Ein Jobagent verlangte zunächst AU$ 450,- Vorschuss für die Vermittlung, um anschließend nur AU$ 0,60 /Stunde für die Arbeit auf örtlichen Farmen zu zahlen. Ein anderer Mittelsmann berechnet AU$ 150,- /Woche für eine Unterkunft, in denen angeblich bis zu 32 Personen untergebracht sind. 12 weitere würden in einer Garage schlafen, so die Anschuldigungen.
Die enorme Ausbeutung junger Ausländer schade dem Ansehen Australiens. Wären die Betroffenen Australier, würde man diese Missstände nicht akzeptieren, so die Lehrbeauftragte der Universität von Adelaide. Da es sich jedoch um anonyme Ausländer handelt, seien Regierung und Öffentlichkeit auf beiden Augen blind.
Laut Arbeitsrechtsexpertin Dr. Joanna Howe ist dass Working Holiday Visum erheblich von Korruption unterwandert.
Nicht nur das 417-Visum ist von Ausbeutung betroffen. Anfang 2015 berichtete der Sydney Morning Herald, dass zahlreiche internationale Studenten weniger als AU$ 8,- /Stunde in Restaurants in Sydney verdienen. Das gesetzliche Minimalgehalt liegt hier bei AU$ 16,87 /Stunde.
Zu treffende Gegenmaßnahmen
Die Vorwürfe wiegen stark. Zwar steuern die Backpacker einen großen Anteil zur australischen Wirtschaftsleistung bei und genießen auf dem Papier die gleichen Rechte, doch sie fallen auf Grund nicht vorhandener Regularien durch das System. Sie sind nicht auf dem Radar, wenn es um Überprüfung der Mindestlöhne oder Arbeitszeiten geht.
Rechtsexpertin Howe folgert, dass das Working Holiday Visum als solches überdacht und in der Konsequenz durch ein reines „low-skilled work“ Visum ersetzt werden müsse. Damit gingen stärkere Kontrollmechanismen einher, die die Arbeitsverhältnisse der ausländischen Backpacker nicht aus den Augen verliere.
Keith Pitt, MP in Südqueensland, fordert eine mobile Einsatzgruppe, die undercover die Machenschaften der Jobmittler aufdeckt und gegen diese vorgeht. Hierfür ist jedoch ein gemeinsames Vorgehen von Einwanderungsbehörde, Steuerabteilung, lokaler Regierung sowie staatlicher Arbeitsvermittlung notwendig.
Die oben erwähnte Reportage „Four Corners“ drängt auf ein kommerzielles Umdenken. Der Konsument verlangt niedrige Preise. Die großen Supermarktketten garantieren niedrige Preise, indem sie kostengünstig einkaufen. Doch ein Farmer mit hohen Lohnkosten kann nicht günstig verkaufen. Was passiert: Diejenigen Farmer, die Kosten vor allem bei der Personalverwaltung einsparen, um Verträge mit den Supermärkten abschließen zu können, unterstützen bewusst oder unbewusst die illegalen Machenschaften der Jobvermittlungen.
Aus diesem Grund ziehen die Journalisten die Supermärkte gleichermaßen in die Verantwortung. Coles, Woolworths, IGA, Aldi und Costco sowie die Fast-Food Ketten KFC, Red Rooster und Subway sind als Mittäter betitelt, da sie Produkte vertreiben, die von ausgebeuteten Backpackern geerntet und abgepackt wurden. Jeder solle Verantwortung übernehmen, so das Fazit des Berichtes: angefangen bei den Farmern, die die Vorgehensweise der beauftragen Jobvermittlungen hinterfragen, über die Gesetzgebung, die privaten Jobvermittlungen Regeln und Kontrollen unterwirft, bis hin zu den Supermärkten, die sicherstellen, dass die Lieferkette ihrer Produkte einwandfrei ist.
Eine positive Resonanz hatte die TV-Dokumentation bereits. Alle erwähnten Supermarktketten bekannten sich in Statements zu ihren ethischen Grundsätzen und versicherten, den Vorwürfen nachzugehen. In einer Fabrik in Victoria wurde einer Jobvermittlung gekündigt, nachdem der Bericht die Machenschaften offenlegte.
Empfehlungen an Backpacker
Die wohl wichtigste Gegenmaßnahme ist die Offensive der Betroffenen. Dass diese auch erfolgreich ausgehen kann, zeigt ein Gerichtsurteil im März 2015. Eine Gruppe ausländischer Arbeiter hat mehr als AU$ 300.000,- Entschädigung erhalten, nachdem sie von einem Bauunternehmen statt der versprochenen AU$ 23,- /Stunde lediglich AU$ 3,- /Stunde erhalten hatten und in einem Schiffscontainer lebten.
FairWork Ombudsman gibt folgende Tipps,
um einer Ausbeutung vorzubeugen bzw. dieser entgegenzuwirken:
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Nicht auf Jobvermittler einlassen, die man an regionalen Flughäfen oder Haltestellen treffen soll. Wenn die gemachten Versprechen zu gut klingen, um wahr zu sein, sollten die Alarmglocken klingeln.
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Nicht auf Anzeigen hereinfallen, in denen nur ein Vorname und eine Telefonnummer angegeben ist. Professionelle Vermittler werben entsprechend umfangreicher.
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Sich über Arbeitsrechte in Australien informieren. Der gesetzliche Mindestlohn für Erntearbeit liegt derzeit bei AU$ 24,36*. Wer diesen kennt, ist klar im Vorteil.
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Bei Bezahlung pro Stück Ernte vorher ausrechnen, ob es unter normaler Arbeitsanstrengung möglich ist, auf mindestens AU$ 24,26*/Stunde zu kommen.
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Beim Vermittler zu eigenen Nachweisen nach Namen und Anschrift des Farmers fragen, für den man arbeitet.
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Überblick über Arbeitsstunden und geleistete Arbeit behalten bzw. niederschreiben.
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Sich über Jobvermittlung im Vorab informieren, in Forenbeiträgen oder online nach Erfahrungen recherchieren.
* = Stand September 2020
Junge Leute mit einem Working Holiday Visum sind das Rückgrat des australischen Agrarsektors. Ohne sie würden viele Trauben an den Reben hängen bleiben. Dieser Wertstellung sollten sich Working Holiday Reisende bewusst sein!
Quellen:
- abc.net.au (vom September 2020)
- TV-Beitrag „Slaving Away“ von „Four Corners“
- dailymail.co.uk
- dailyexaminer.com.au
- FairWork Ombudsman
- Reisebine: Ausbeutung in Working Hostels
- Sydney Morning Herald
- Reisebine: Sicherheit in australischen Backpacker Hostel
Die hier genannten Vorwürfe, sei es im Zuge der TV-Reportage oder durch FairWork Ombudsmann, sind extreme Fälle, der es in Zukunft vorzubeugen gilt. Dennoch implizieren sie nicht, dass Erntearbeit in Australien grundsätzlich von Ausbeutung unterwandert ist.
Oben erwähnte Beispiele mögen vielleicht nur die Spitze eines Eisberges sein, doch zuverlässige Anbieter halten dem die Waage. So findet man beim australischen Arbeitsamt im Harvest Trail z.B. nur seriöse Erntejobs. Wer sich auf diese bezieht, kann darauf vertrauen, an keinen ominösen Jobvermittler zu geraten.
Schwarze Schafe gibt es leider in jedem Arbeitsbereich, nicht nur in Australien. Geht der Backpacker mit gesundem Menschenverstand an die Arbeitssuche heran, kann er negativen Erfahrungen vorbeugen, in dem er sich auf ein zweifelhaftes Jobangebot gar nicht erst einlässt.
Ist man auf eine betrügerische Jobvermittlung hineingefallen, sollte unbedingt der Weg zu einer Rechtsorganisationen gesucht und nicht Stillschweigen bewahrt werden. Auch wenn der eigene verloren gegangene Lohn in der Folge vielleicht nicht erstattet werden kann, sind immerhin zukünftige Backpacker gewarnt.