ein Erfahrungsbericht von Wolf G.
Mein eigentlicher Plan war es, als Barkeeper in Sydney gutes Geld zu verdienen und mein Englisch in der extra angemieteten Wohnung mit meinen Mitbewohnern zu trainieren. Daraus wurde leider nichts.
Schnell musste ich feststellen, dass es, trotz 3 Jahren Erfahrung in der Gastronomie und meinem zusätzlichen Training für Barkeeper und Barista, keine Jobs gab.
Weder als Bartender, Kellner oder hinter der Bar.
Nach über 60 on- und offline Bewerbungen musste ich resigniert aufgeben und mich nach Alternativen umschauen.
Im Hostel lernte ich ein Mädchen kennen, das gerade von einer Farm kam. Das war die ideale Chance gleich dort beginnen zu können, da nun jemand gesucht wurde.
Leider warnte sie mich schon vor, die Arbeit sei mega schwer und sie glaube nicht, dass ich es schaffen würde.
Nun ja, dachte ich mir, das sind ja tolle Aussichten.
Auf dem Weg zur Farm
Sie sollte Recht behalten, nur war die harte Arbeit nicht das Problem. Nach einem Anruf bei dem Farmer (den ich durch seinen starken ländlichen Aussie-Dialekt nur halb verstand) habe ich die Zusage bekommen. Jetzt musste ich noch das Zugticket buchen und auf ging's ins Outback!
Nach einem ganzen Tag Zugfahren, kam ich endlich in einer Kleinstadt an.
Ich war positiv überrascht. Alles war gepflegt und sauber. Es gab Supermärkte, Hotels und Bars und das bei nur 2.000 Einwohnern.
Schnell habe ich noch Lebensmittel für die nächsten 2 Wochen gekauft und auf das Pick-Up vom Farmer gewartet. Als er kam, traf mich der Schlag: Das Auto war kaum noch als solches zu erkennen. Es wäre selbst auf dem Schrottplatz dankend abgewiesen worden. Weder Kofferraum, Seitentüren noch Fensterheber funktionierten. Später erfuhr ich, dass man auch nicht mehr den Schlüssel ziehen konnte, geschweige denn abschließen.
Der Farmer selbst war auch eine Erscheinung. Ungepflegt, in zerrissenen Sachen und sehr unfreundlich. Auch die Fahrt hatte es in sich. Der Müll stapelte sich im Fußraum Knie hoch, sodass ich meine Füße anziehen musste, um überhaupt sitzen zu können.
Angekommen auf der Milchfarm
Meine Backpacker-Kollegin (ebenfalls eine Deutsche) schlief bereits. Der Platz an dem sie schlief, war etwas ganz besonderes. Sie schlief in einem Zelt im Wohnzimmer. Das ganze Haus stank nach Fäkalien. (Es gab kein Katzenklo, daher machte die Katze ihre Häufchen im Toilettenraum).
Ich hatte wenigstens ein halbwegs sauberes Zimmer, trotzdem schlief ich in meinen Sachen im Bett. Das würde ein Abenteuer werden, sagte ich zu mir. Und am nächsten Morgen würde es schon los gehen.
Ich wurde gleich am ersten Tag für die Molkerei eingeteilt.
Um ehrlich zu sein, ich hatte es mir schlimmer vorgestellt. Man gewöhnt sich so unglaublich schnell daran, die Kühe untenrum anzufassen und die Ansaug-Cups an die Zitzen anzusetzen. Zwar koten die Kühe die ganze Zeit, aber "Cow crap" (wie es so schön heißt) riecht nicht allzu schlimm.
Danach hieß es Schweine füttern, was wesentlich schlimmer war. Der Schweinestall hat unglaublich gestunken und die Schweine waren extrem laut. Ich musste mir Earplugs einsetzen, sonst wäre ich taub geworden. Anschließend hatte ich 2 Std. Mittagspause, bevor ich bis 21:30 Uhr wieder Kühe molk.
Da begann schon der Psycho-Terror.
Es gab ab dem ersten Tag keine einzige Minute Training oder eine Einführung. Nichts wurde einem erklärt oder beigebracht. Zum Glück hat mir die andere deutsche Backpackerin alles gezeigt, sonst wäre ich komplett aufgeschmissen gewesen.
Ich fragte sie, wie sie denn alles gelernt hätte. Sie meinte nur achselzuckend, dass sie alles von den Backpackern vor ihr gelernt hatte. Das ist übrigens die Ursache für die ganzen Fehler und Verzögerungen, die auftreten, weil man es einfach nicht besser weiß und vieles falsch macht. Die Arbeit war hart.
Der Melkprozess läuft folgendermaßen ab:
Früh schmeißt man die Molkerei an und treibt die Kühe von der Weide. Die Anlage ist so aufgebaut, dass die Kühe auf der einen Seite auf das Karussell gehen, man die sogenannten Cups an die Zitzen ansetzt, die Kühe derweil Futter bekommen und sie dann auf der anderen Seite wieder raus treten.
Das Schwierige dabei ist, dass man darauf achten muss, dass sie auch wieder raus gehen, weil sie das selten freiwillig tun! Mit einem Stock gibt man einem kräftigen Piks in die Kniekehle, man schreit sie an und erst dann laufen sie heraus. Das ist das Anstrengende an der Arbeit.
Nach 4 Tagen bekam ich dann den ersten großen Anschiss. Als ich am 3. Tag alleine gemolken habe, hätte ich nur 70 der geforderten 100 Kühe in einer Stunde gemolken. Mein Einwand, dass es doch erst mein dritter Tag sei, wurde ignoriert und machte den Farmer noch wütender. Entweder werde ich besser oder ich fliege von der Farm.
Hier bemerkte ich ein grundsätzliches Problem. Während sich die anderen Backpacker das Gemecker einfach anhörten und abnickten, konnte und wollte ich mir das nicht gefallen lassen. Nur waren die Farmer es nicht gewöhnt, dass man mit ihnen diskutiert und Widerspruch erhebt. Nach einer Stunde streiten musste ich es dann leider auch abnicken. Sonst hätte es nie aufgehört.
Wo ein Wille, da ein Weg
In der Pause forderten dann die 13 Stunden Arbeit, die 6 Stunden Schlaf, die nervliche Belastung jeden Tag und jetzt die Standpauke ihren Tribut.
Ich bekam einen Weinkrampf vor der anderen Backpackerin. Das war nicht das Australien, welches ich mir vorgestellt hatte. Ich wollte Cocktails mixen, mit Gästen quatschen, surfen und mich nicht im Outback zu Tode schuften und von Farmern fertig machen lassen. Mir war es richtig peinlich und unangenehm, als erwachsener Mann vor ihr zu heulen.
Ihr machte das aber wenig aus. Sie sagte nur achselzuckend, dass ich nicht der erste wäre, der weint. "Man überlebt das hier nur, wenn man ein Ziel hat!" Sie wusste wovon sie sprach. Sie war schon 3 Monate hier. Ich sagte zu ihr: "Wenn du das schaffst, dann schaffe ich das auch!" Sie lachte, ich wäre der Dritte, der das sagt, keiner hätte es länger als 2 Wochen geschafft.
Aha, ok, na gut. Jetzt hieß es Zähne zusammen beißen und durchhalten. Ich konnte aufgeben und wie ein Jammerlappen nach Sydney zurückgehen oder das hier durchhalten und Willenskraft zeigen!
Ich entschloss mich, erst mal Ziele aufzustellen.
Erstes Ziel: Ich wollte ein Quad in Deutschland kaufen.
Zweites Ziel: Entweder werde ich gefeuert oder mein Körper gibt auf. Freiwillig gehe ich nicht!
Ich klotzte die nächsten Tage richtig rein. Ich schaffte meine 100 Kühe in der Stunde, kein Anschiss mehr. Körperlich war ich zwar am Ende, aber dafür war ich mit mir selbst zufrieden. Auch gewöhnte ich mich an die Farm. Sie glich zwar eher einem Schrottplatz, aber irgendwann kümmert man sich nicht mehr darum, weil man eh nur fertig ist und zu arbeiten hat.
Australisches "Wildlife" hautnah
Als ich in der zweiten Woche gerade Holz in den Brennofen geworfen hatte, (in dem einfach alles verbrannt wurde! Müll sammeln oder trennen existierte nicht.) merkte ich plötzlich einen Stich in der linken Hand, konnte aber nichts Auffälliges erkennen.
In der darauf folgenden Nacht um 4 Uhr begann es. Ich bekam heftigen Durchfall und Krämpfe. Am Morgen wurde es noch schlimmer. Ich litt unter starken Kopfschmerzen, Gliederschmerzen, Magenkrämpfen, krassen Rückenschmerzen und meine linke Hand schwoll an. Ich wollte es mir aber beweisen und habe am Morgen noch gemolken. Am Nachmittag konnte ich aber gegen die starken Schmerzen nicht länger ankämpfen.
Meine Bitte, zum Arzt zu gehen, wurde abgewiesen mit der Begründung "you just have the flu or food poisoning."
In der Nacht fuhr ich mich selbst ins 40 km entfernte Krankenhaus. Das war ein ziemliches Abenteuer, denn ich hatte keine Ahnung wohin. Darüber hinaus konnte ich mit der linken Hand nicht schalten und ich wusste nicht, ob sie mich überhaupt nachts aufnehmen würden.
Zum Glück taten sie das. Ich hatte mittlerweile 40°C Fieber und war vollkommen dehydriert. Sie riefen extra den Arzt an, der nachts noch rein kam. So lag ich da für 3 Tage, bevor die Antibiotika wirkten.
Als ich zurück auf die Farm fuhr, hatte ich schon ein mulmiges Gefühl. Der Farmer war natürlich mega sauer, dass ich für 3 Tage weg war. Ich versuchte ihm alles zu erklären. Er schrie mich nur noch an: "PISS OF MY FARM, PISS OF MY FARM!"
Ich rief das Krankenhaus wieder an. Glücklicherweise half eine nette Krankenschwester und ihr Bruder und holten mich ab. Am Ende kämpfte ich noch mehrere Wochen lang mit der Versicherung, weil sie es nicht als Arbeitsunfall anerkennen wollten.
Mein Fazit: Dranbleiben lohnt sich!
Auch wenn das natürlich ein Extremfall ist. Das Farmleben ist hart und der Umgangston auch. Aber, dadurch, dass man kaum Ausgaben hat, kann man in 6 Monaten genug Geld verdienen, um den Rest entspannt zu traveln und vielleicht sogar etwas mit nach Deutschland zu nehmen.
Dennoch blicke ich zufrieden auf die Zeit zurück. Es gab auch schöne Momente, die ich nicht missen möchte. Wenn man bei strahlendem Sonnenschein raus fährt, alleine mit dem Pick-Up und die Kühe vor sich her treibt, dann fühlt man sich wie ein moderner Cowboy.
Zudem hat es mich sehr viel über das Leben gelehrt. Man braucht nicht viel, um glücklich zu sein.
Außerdem härtet es ab.
Anmerkung des Autors:
Alle diese Ereignisse haben sich wirklich so ereignet, wurden aber für diesen Bericht etwas gekürzt.