O'zapft is, mate!
ein Erfahrungsbericht von Stefanie Stadon
Seit 5 Stunden fuhren wir bereits mit dem Bus von Melbourne aus Richtung Norden. Die entgegenkommenden Autos wurden immer seltener, die Distanzen zwischen den Städten immer größer, die Landschaft immer karger. Endstation der Buslinie war ein 500-Seelen-Ort namens Sea Lake - irgendwo im Nirgendwo zwischen Mildura und Bendigo in Victoria. Und genau dort sollten meine Freundin und ich für die nächsten Wochen als Barmaid hinter dem Tresen eines Countrypubs arbeiten.
Jobsuche
Die Job-Anzeige hatten wir zwei Wochen zuvor im Internet auf einer der unzähligen Backpacker-Seiten gefunden. Keine von uns konnte Erfahrung in der Gastronomie vorweisen. Doch wir hatten die folgenden entscheidenden Argumente: wir besaßen ein RSA-Zertifikat (wenngleich unser Chef das nie sehen wollte), nahmen in Kauf, jegliche Vorzüge der Zivilisation hinter uns zu lassen und waren zwei aufgeschlossene Backpacker des weiblichen Geschlechts. Nichts gegen die Männer hinterm Tresen, aber auf dem Land bringen eindeutig Frauen am Zapfhahn mehr Geld in die Kasse.
Ein per Mail verschickter Lebenslauf, ein fünfminütiges Telefongespräch mit dem Chef und einige Tage später hatten wir schließlich die Jobzusage.
Arbeits-/Wohnort
Unser Zuhause für die nächsten Wochen war das Royal Hotel Sea Lake, einer von immerhin zwei Pubs in der „Stadt". Das Gebäude ist auch nach 100 Jahren noch eine Augenweide. Es ist eines dieser typischen viktorianischen Häuser. Genauso traditionell war der eigentliche Pub: Ein meterlanger uriger Holztresen; an den Wänden Relikte vergangener Zeiten, wie die Fotos des einheimischen Footy-Teams, mittendrin der obligatorische Billard-Tisch sowie der offene Kamin für die kalten Wintertage. Der Pub war entzückend altmodisch, unglaublich gemütlich und einen Schuss versifft - die Atmosphäre einfach stimmig.
Normalerweise ist ein Countrypub zugleich ein Hotel, wie der Name vermuten lässt. Da der Brandschutz im Royal Hotel Sea Lake jedoch über die Jahre hinweg nicht ganz so ernst genommen wurde und so manche Zimmerdecke gelegentlich zum Sturzbach mutierte, besaß unser Pub keine „Accomodation"-Lizenz mehr. Gut genug für die Unterbringung zweier Backpacker war es nach australischem Sicherheitsverständnis jedoch allemal.
Wer in einem Countrypub arbeitet, wohnt zumeist auch dort. Weder für die Unterkunft noch für das Essen muss zusätzlich bezahlt werden. So ernährt man sich schnell aus Geiz und Bequemlichkeit recht monoton von den "Counter Meals", also von Schnitzel, Steak, ganz viel Pommes und noch mehr Gravy (grässliche australische „Allround-Bratensoße").
Gott sei Dank gab es keine Kleiderordnung, an die wir uns halten mussten. Denn in meine einzige schwarze Jeans passte ich schon bald nicht mehr hinein. Im Countrypub geht's alles andere als förmlich zu. Etikette kennt man hier nicht, weder was den Dresscode noch das Auftreten betrifft. Auf dem Land geht es etwas rauer zu, gerade was die Aussprache betrifft. Geflucht wird in den höchsten Tönen und ebenso stolz genuschelt. Dazwischen gesellen sich Wörter, die mit unserem Schul-Oxford-Englisch nicht mehr viel gemeinsam haben. Auf den Tipp einer Job Agency Mitarbeiterin haben wir uns daher zuvor ein Aussie Slang Buch gekauft. Doch die darin stehenden Begriffe wie "Sheila" und "Fair Dinkum" gelten selbst auf dem Land mittlerweile als hinterwäldlerisch. Also lieber ein paar Mal höflich nachfragen, wenn man etwas nicht verstanden hat.
Verdienst
Wer innerhalb kürzester Zeit ein Vermögen verdienen möchte, sollte nicht im Countrypub arbeiten. Hier summiert sich das Geld eher langsam, aber stetig. Wir haben damals zwischen AU$ 350,- und AU$ 450,- pro Woche verdient, je nachdem, welchen Pseudo-Steuersatz unser Chef berechnete. Auch auf üppiges Trinkgeld sollte man besser nicht setzen. Das ist nicht etwa der Unfreundlichkeit der Australier geschuldet, sondern schlicht der Tatsache, dass hier Drinks sofort bei Bestellung bezahlt werden. Dafür spart man die Kosten für Unterkunft und Essen. Und das ist als Backpacker in Australien „a fair bit".
Im Laufe der Wochen sammelt sich so ein gut gepolstertes Reisebudget an. Hinzu kommt, dass man in einem Ort wie Sea Lake äußerst bescheidene Möglichkeiten hat, sein angespartes Geld unter die Leute zu bringen; außer man beteiligt sich an den sonntäglichen Pferdewetten.
Arbeitsablauf
Die ersten Arbeitstage waren holprig. In Down Under die lokalen Glasgrößenunterschiede zu verstehen, ist ein Aussie-Unding für sich. Jeder Staat hat seine Vorlieben: In Victoria ist „glass" ein kleines Glas, ein „Pot" die Nummer größer und kommt mit oder ohne „handle" und schließlich gibt es für die wahren Genusstrinker noch den „Schooner". Hat man endlich die verschiedenen Glasgrößen im Kopf, kommt die nächste Herausforderung – das Zapfen an sich. Hier treffen schärfste „Nationalunterschiede" aufeinander – die Deutschen mögen's bekanntlich sehr schaumig; die Australier ganz und gar nicht. Wenn man stolz sein Erst-Gezapftes mit üppig weißer Krone serviert und in die irritierten Gesichter blickt, lernt man schnell, dass 1 cm Schaum das höchste der Gefühle ist.
Neben dem Barbetrieb gehörte das Servieren der Mahlzeiten zu unseren Aufgaben. Kochen mussten wir nie, dafür gab es Rusty, unseren Hauskoch. Die ebenso anfallenden Reinigungsarbeiten beschränkten sich dank des fehlenden Hotelbetriebs auf die Barräumlichkeiten. Empfindliche Sinnes-Inhaber bereiten sich Sonntags besser gut auf den Morgenputz vor – auf dem Land vergeht kein Wochenende ohne „Würgen und Brechen". Beim Putzen spielten wir unsere deutsche Trumpfkarte aus – Gründlichkeit, komme was wolle. So sauber wie mit uns hat man den Pub wohl zuvor und danach nicht mehr gesehen.
Unsere Arbeitszeiten waren sehr erträglich. Montags und dienstags machte der Pub erst 15 Uhr auf, der Vormittag gehörte also uns. Die anderen Tage war ab 11 Uhr Ausschank und dieser zog sich bis 1 Uhr nachts hin. Da wir die Schichten unter uns aufteilten, bedeutete dies ca. 5 Std. Arbeit für jeden am Tag. Die Vormittage zogen sich meist in die Länge. Kunden waren nur die üblichen Verdächtigen, die keiner regelmäßigen Arbeit nachgingen. Erst gegen nachmittags füllte sich das Haus mit Farmern, Elektrikern, Fabrikarbeitern und Schulranzenträgern, die bereits die 18er Jahresmarke geknackt hatten.
Freizeitgestaltung
Auf eines sollte man sich gefasst machen: Im australischen Hinterland gibt es außerhalb des Pubs nicht viel Abwechslung. Sea Lake hat eine Hauptstraße. Daran entlang ziehen sich der Supermarkt, zwei Cafes, zwei Pubs, ein Unterwäscheladen, ein Book Change Store, ein Friseur, Klempner, Elektriker etc. Das Nötigste zum Überleben. Der regionale ÖPNV fährt einmal pro Tag, manchmal nur einmal pro Woche. Die nächst größere Stadt ist gut eine Autostunde entfernt. Von Kino und Bowlingbahn trennten uns sogar vier Autostunden hin und zurück.
Demjenigen, der viel Unterhaltung um sich herum braucht, wird in der Eintönigkeit der australischen Provinz schnell die Decke auf dem Kopf fallen. Hier wiederholen sich selbst die Gesprächsthemen nach 2-3 Wochen: Wie läuft die Ernte? Wer ist mit wem zerstritten? Welches Auto hat die schönsten Felgen? Apropos Auto – unsere Chefin war so nett und stellte uns ihr Arbeitsauto zur Verfügung. So konnten wir immerhin gelegentlich 75 km fahren, um in eine allseits bekannte Fastfood-Kette einzukehren oder unsere Klamotten der neuen Konfektionsgröße anzupassen. Ansonsten vertrieben wir uns die Zeit mit viel Lesen, Buschland-Sightseeing oder in Gesellschaft der Locals.
Unter Einheimischen
In einem Dorf wie Sea Lake ist man als Backpacker bereits vor seiner Ankunft in aller Munde. Man ist das Highlight der Woche und Gesprächsthema für die nächsten Tage. Das erste Wochenende hinterm Tresen ist reinste „Fleischbeschau", vor allem wenn die Mehrheit der Bewohner männlich ist. Der Umsatz schießt deutlich in die Höhe, den Chef des Pubs freut's.
Nach dem ersten Wochenende wurden mir bereits Techtelmechtel mit drei Kerlen nachgesagt. Einer war begründet, die anderen beiden entsprangen der Phantasie und dem Klatschbedürfnis der Locals. Nach 2-3 Wochen kehrte allmählich Ruhe ein und wir waren ein so fester Bestandteil der Gemeinde, wie es ein Berliner in einem bayrischen Dorf wohl nie werden könnte.
Nicht nur die Einheimischen sondern auch die durchfahrenden Touristen oder Bauarbeiter interessierten sich aufrichtig für unsere Geschichte und wurden derer nie müde. Australier sind wahnsinnig gastfreundlich. Auf dem Land intensiviert sich diese Herzlichkeit nochmals, sodass man sich als distanzierter Deutscher von so viel Anteilnahme gelegentlich erschlagen fühlt.
Auch das bedeutet Arbeit im Countrypub – dein Leben wird Allgemeingut einer kleinen Seelengemeinde. Doch wer sich darauf einlässt, erlebt eine wunderbar authentische Zeit und lernt wahre Unikate kennen. Da gab es z.B. Wendy, die gute Seele der Stadt, die uns jeden Sonntag ein Magnum-Eis auf Arbeit brachte. Oder der 80jährige Martin, der keinen Funken Charme verloren hat und uns sein Feuerwehrabzeichen aus alten Zeiten als Erinnerung gab. Menschen, die dir auf ewig in Erinnerung bleiben.
Ausklang
Durch die Arbeit in einem Countrypub lernt man Australien von einer sehr landestypischen Art kennen – mit all der Romantisierung und Abschreckung. Bekommt man in den Städten wie Melbourne und Sydney ein Gefühl für den australisch-trendigen Lifestyle, erfährt man auf dem Land die Herkunft jener typisch australischen Mentalität.
Für alle, die Eintönigkeit nicht mit Langeweile gleichsetzen, die aufgeschlossen sind und sich nicht scheuen, dem ein oder anderen "Charmeur" ein Lächeln zu schenken und die vor allem den banalen-spannenden Alltag auf dem australische Land mit all seinen Facetten kennenlernen möchten, ohne gleich zu Hacke und Sense greifen zu müssen, werden hinter dem Tresen eines Countrypubs eine tolle Zeit erleben.
Geplant waren für uns 1 ½ Monate Arbeit im Pub, daraus geworden sind bei mir 6 Monate. Allerdings war dies zum Ende weniger der tollen Arbeit als vielmehr einer beginnenden Romanze geschuldet.
Was den Job betrifft, sollte man sich gerade als Backpacker an die Regel halten: „Aufhören, wenn's am Schönsten ist". Nach vier Monaten war der Spaßfaktor letztlich vorbei: jeden Tag die gleichen Geschichten, jedes Wochenende die gleichen Betrunkenen und dazwischen die Eintönigkeit des Nichtstuns. Für eine gewisse Zeit lang genießt man diese Erlebnisse unglaublich - aber irgendwann muss das letzte Bier gezapft werden um zu neuen australischen Ufern aufzubrechen.