eine Analyse von Eline Bakker
Nahezu jeder Working Holiday Visumbesitzer wird ein Lied von ihnen singen können: Working Hostels.
Ob es darum geht, noch schnell seine 90 Tage Farmarbeit für die Beantragung des zweiten Working Holiday-Visums abzuleisten oder man völlig abgebrannt irgendwo festsitzt, Working Hostels versprechen, zumindest auf dem Papier, schnelle Abhilfe.
Aufzählungen der vermeintlichen Vorteile eines Aufenthalts in einem Arbeitshostel sind schnell zur Hand. Brotlose Backpacker werden mit günstigen Übernachtungspreisen und dem Versprechen baldiger und unkomplizierter Arbeitsvermittlung geködert. Das WG-Gefühl eines Zusammenlebens auf längere Zeit lockt, denn auch der härteste Globetrotter ist nach einer gewissen Zeit des Herumreisens das fortwährende Abschiednehmen leid. Die abgeschiedene Lage vieler Working Hostels tut ein Übriges: in den umliegenden Farmen muss doch viel und gut bezahlte Arbeit für Obstpflücker und Gemüsepacker zu finden sein, so die naheliegende Annahme. Selbst deutschsprachige Beratung und Bustransport zur Arbeit werden bisweilen kostenlos geboten. Himmlische Verhältnisse für Abgebrannte und Arbeitssuchende, also.
Theoretisch.
Ein "Worst-Case-Szenario"
Der Ankunftstag., später Nachmittag. Mehrere Autoladungen voller arbeitswilliger Backpacker kommen an im bereits gutgefüllten Hostel, irgendwo auf dem Land, inmitten der Obstanbaugebiete Australiens. Die gelangweilte Rezeptionsaushilfe verspricht Arbeitsvermittlung, jedoch erst nach der Bezahlung der ersten Wochenmiete und der Hinterlegung des Reisepasses an der Rezeption. Nach dem Einchecken stellt sich heraus, dass leider alle Long-Term-Schlafsäle belegt sind, deshalb müssen die Neuankömmlinge zunächst im Tagessaal schlafen – ein dunkles Loch mit Fenstern direkt neben der Bar, das wohl auch schon bessere und vor allem sauberere Tage gesehen hat. Wer Glück hat, bekommt am Abend zu hören, dass er am nächsten Tag um „five a.m. sharp!" bereitstehen solle, um zum Obstpflücken abgeholt zu werden, die anderen ertränken ihren Frust über fehlende Arbeit mit überteuertem Goon an der Bar.
Eine stickige, laute und zu kurze Nacht später werden die Fruitpicker und Weinschlepper zur Arbeit gebeten. Der Transport reicht von abenteuerlichen Jeepfahrten durch das Outback bis hin zum Massentransport in ausgemusterten Schulbussen, deren Allgemeinzustand sich wohl mit „Schrotthaufen" am besten umschreiben ließe. Der Fahrer sammelt, trotz zuvor versprochenen kostenlosen Transports, von jedem 5 Australische Dollar Benzingeld ein und verzettelt sich mehrfach beim Nachzählen – das sind wohl die Nachwirkungen des gestrigen Alkoholgelages mit den hübschen Backpackerinnen an der Bar.
Die Arbeitsstelle selbst entpuppt sich als typischer Obstpflückerjob – nur schlechter bezahlt; von gesetzlichen Mindestlöhnen keine Spur. Unter brennender Sonne schieben Working Holiday Maker aller Herren Länder 10- oder 12-Stunden-Schichten, um ihre Mindestmengen an gepflücktem Obst abzuarbeiten.
Am Ende des langen Arbeitstages bildet sich eine Schlange vor dem Büro des Aufsehers, wo die Arbeitsstunden und Obstmengen, abzüglich Wartezeiten, Pinkelpausen und Brotzeit, notiert werden. „Payday is on Friday", blafft der Aufseher jedem entgegen, der es wagt, nach seinem Geld zu fragen. Immerhin, es sitzen alle im selben Boot, so bilden sich erste Freundschaften. Müde und staubig besteigen die Working Holiday Maker im Anschluss ihr klappriges Transportmittel und lassen sich zurück ins Working Hostel kutschieren.
Nach der Rückkehr von der Arbeit wird um die Duschreihenfolge geknobelt oder sich brav in eine lange Schlange eingereiht. Fünf Duschen für sechzig abgekämpfte Backpacker, das kann dauern, und mit warmem Wasser rechnet sowieso niemand.
„Klar, mit Jim, dem Hostel-Manager, musst du dich gut stellen, dann gibt's auch mal bessere Jobs," erklärt Martin, ein Hostel-Veteran, beim Schlangestehen. „Ich bin jetzt drei Monate hier, seit letzter Woche packe und verschweiße ich Weinkisten, das gibt 1000 Dollar die Woche. Bis dahin musst du das eben aushalten mit dem Zitronen pflücken. Schau nur zu, dass du mindestens fünfzig Dollar am Tag machst, sonst gehst du mit Miesen hier raus. Dazu musst du dann aber auch wirklich ranklotzen. Irgendwie packst du das schon." Ein Blick auf Martins muskulöse Arme lässt keinen Zweifel daran, dass er das mit dem Obstpflücken problemlos gemeistert hat. Die umstehenden Mädchen scharren unruhig mit den Füßen und finden sich damit ab, notfalls rote Zahlen zu schreiben, solange sie nur Arbeit haben und nicht mit einem Sonnenstich umfallen.
Eine Wohltat, dass einige Working Hostels einen Pool mit angeschlossener Bar anbieten, da erübrigt sich das Duschen, das Poolwasser wird zwei Mal täglich mit reichlich Chlor angereichert und bleibt chemisch „sauber".
Auch Hostelmanager Jim freut sich: die zahlreichen verkauften alkoholischen Getränke und Burger ziehen den müden Obstpflückern das letzte Geld aus der Tasche. Später am Abend entlädt sich die frustrierte Stimmung in ausufernden Parties, gemeinsam mit den tagsüber Daheimgebliebenen. Derweil ziehen sich die Frühaufsteher unter den Arbeitenden das Kissen über den Kopf und versuchen, trotz Lärm und Muskelkater eine Mütze Schlaf zu erhaschen. Gar nicht so einfach, zwischen schnarchenden Mitmenschen, Barbecue- und Biergerüchen und lauter Technomusik ein Auge zuzumachen.
Am Ende der Woche dann die Ernüchterung. Das verdiente Geld wird vom Aufseher wegen „Faulheit" und nicht erreichtem Arbeitspensum gekürzt. Beim Auschecken rattert das gelangweilte Mädchen an der Rezeption eine ellenlange Thekenrechnung herunter – ein paar hundert Dollar, nur für ein paar Bier und tägliches Abendessen. Den Long Term Schlafsaal hat man noch immer nicht gesehen und hält ihn mittlerweile für ein Gerücht.
Kurzum: das Verdiente reicht hinten und vorne nicht, der Hosteleigentümer tobt und schwört, den an der Rezeption hinterlegten Pass einzubehalten, wenn die ausstehende Rechnung, plus die der kommenden zwei Wochen, als kleine Wiedergutmachung für seinen entstandenen Ärger, nicht bezahlt wird. Er bietet an, das Geld könne ja auch aus Deutschland überwiesen werden.
Mama und Papa werden sich wohl nicht freuen, doch bleibt dem verzweifelten und abgekämpften Backpacker wohl keine andere Möglichkeit, als Zuhause um Geld zu bitten.
So war der Working Holiday Aufenthalt ganz sicher nicht geplant!
So schlimm wird es schon nicht kommen. Oder?
Der Grund für die teilweise katastrophalen Zustände in Working Hostels ist so einfach wie einleuchtend: die Massenabfertigung arbeitswilliger, aber unerfahrener Backpacker funktioniert für Eigentümer wunderbar als legale Gelddruckmaschine. Das oben beschriebene Horrorszenario mag auf dem Papier überzogen und sogar amüsant wirken, doch gestaltet sich die traurige Realität allzu oft ganz genau so, oder ähnlich.
Günstige Übernachtungspreise in Working Hostels haben wenig angestelltes und dadurch überfordertes Personal sowie überfüllte Schlafsäle zur Folge. Sämtliche Putzarbeiten liegen in der Hand der chronisch überarbeiteten Working Holiday Maker. Kochen erscheint in dreckstarrenden und schlecht ausgestatteten Küchen unmöglich.
Selbstverwaltung der Schlafsäle und Küchen kann einem da schon schnell zum Halse heraushängen, doch im Hostel gekaufte und konsumierte Nahrungsmittel und Getränke belasten die Reisekasse gehörig. Oftmals werden Jobs bevorzugt an „Freunde des Hauses" vermittelt, „Aufmucker" werden grundsätzlich benachteiligt. Achtung, Mädels! Von tiefen Ausschnitten bis hin zu sexuellen Gefälligkeiten wird bei einigen schwarzen Schafen alles verlangt, und das nur für die Vermittlung eines schlechtbezahlten Fruit Picking Jobs.
Die Arbeit selbst wird allzu gern schwarz vermittelt und bezahlt; Arbeitgeber und Hosteleigentümer stecken sich Prozente in die Tasche und manch ein Backpacker steht nach einer Woche harter Arbeit mit einem dicken Minus da. Nicht wenige geben nach einigen Wochen auf, verlassen das Hostel, oder fliegen gar mit leerem Geldbeutel aber dem Kopf voller Frustration zurück nach Hause.
Grundsätzlicher Optimismus hat noch keinem Traveller geschadet und eine gewisse Toleranz gegen nächtlichen Lärm, harte körperliche Arbeit und unaufgeräumte Hostelzimmer stellen sich von ganz alleine ein, wenn man ein Jahr lang mit einem Working Holiday Visum unterwegs ist. Dennoch: so nett auch die anderen Hostel-Bewohner sein mögen, alles muss man sich, auch mit leeren Taschen und hungrigem Magen, nicht gefallen lassen.
Und was nun?
Was aber könnt ihr als Working Holiday Maker gegen diese systematische Form der Ausbeutung tun?
- Zunächst sei gesagt, dass eine gute Vorbereitung eures Aufenthalts die halbe Miete ist. Reisebine bietet euch mit zahllosen Artikeln eine reichhaltige Informationsquelle, die wenige Fragen offen lässt.
- Vor Ort in Australien können Hostel-Bewertungen in einschlägigen Foren eine große Hilfe sein. Viele Working Hostels haben bereits sehr schlechte Bewertungen von vielen NutzerInnen bekommen – informiert euch, bevor ihr hinfahrt! Solltet ihr an einem bestimmten Hostel zweifeln, fahrt lieber nicht. Die Frustration ist es nicht wert und mit etwas Geduld und Durchhaltevermögen findet man auch selbstorganisiert Jobs als Obstpflücker, zum Mindestlohn oder mehr.
- Ist bereits alles zu spät und seid ihr in einer völligen Absteige gelandet, so können wir euch nur raten, es nicht mit euch machen zu lassen:
- Lasst euch nicht zu Schwarzarbeit breitschlagen. Nicht nur ihr selbst, auch euer Chef, macht sich damit strafbar. Im schlimmsten Falle hätte die Einwanderungsbehörde in der Folge sogar das Recht, euch daraufhin auszuweisen.
- Besteht auf eurem Geld, selbst, wenn ihr anschließend zum Abreisen aus dem Hostel gezwungen werdet. Eine Drohung mit den Gewerkschaften wirkt manchmal Wunder. Kennt eure Rechte und beharrt darauf.
- Steckt ihr in einer vermeintlich auswegslosen Situation oder habt ihr kein Geld für eure Arbeit bekommen, dann konsultiert die Fair Work Ombudsman Organisation, eine staatliche Stelle, die Hilfe anbietet.
Und zu guter Letzt: Ihr seid nicht allein. Mit Sicherheit fühlen sich andere im Hostel genauso hochgenommen wie ihr selbst. Sprecht mit ihnen, überlegt euch, wie ihr den Hostelmanager und eure Arbeitgeber am besten konfrontiert; in der Gruppe seid ihr stark!